Universitäten, an denen man literarisches Schreiben studieren kann, gibt es im deutschsprachigen Raum in Bern, Hildesheim, Köln, Leipzig, Tübingen und Wien. Moment, Tübingen?
2009: Ich sitze im Zug und mir rinnen die Tränen herab. Gerade fahre ich vom letzten Treffen der Leondinger Literatur Akademie wieder an meinen Studienort Tübingen. Ich weine, weil ich nicht weiß, wie und mit wem ich mich ab jetzt über meine Texte austauschen soll, von Angesicht zu Angesicht und regelmäßig (mehr zur Leondinger Akademie finden sich hier). Ich komme zu Hause an, ich klappe den Laptop auf, suche das Internet fieberhaft ab: Irgendwo in der Tübinger Umgebung muss es doch Leute geben, die sich fürs literarische Schreiben interessieren, muss es doch eine Gruppe geben, die über die eigenen Texte spricht.
Ich fand besseres:
Das Studio Literatur und Theater (SLT)
Das ist ein Angebot der Universität Tübingen und für alle Studierenden fachübergreifend zugänglich. Im sogenannten Verfügungsgebäude (zwischen Unkel und schräg gegenüber vom Brechtbau) wird in einem kleinen hellen Seminarraum oder tief unten im Keller über Texte gesprochen. Über Literturkritik, es werden Lyikseminare angeboten und dramatische Texte verfasst – und dass mit anderen Studierenden, die sich ebenfalls für Literatur begeistern, egal, was sie im Hauptfach studieren. Es gibt Seminare, die sich mit längeren Projekten, mit Inspiration, mit kurzen Texten, mit Inspiration… beschäftigen. Im Zentrum stehen die eigenen Texte, die Entwicklung einer eignen (Schreib-)Stimme, wie man Inspiration findet, wann, wo und wie man schreiben und Texte verbessern kann, wie man Kritik an den anderen Texten übt. Geführt wird das Studio Literatur und Theater (SLT) von Dagmar Leupold. Sie versteht es ehrlich, ungeschminkt und voller Interesse und Respekt über die mitgebrachten Texte zu sprechen. Es treffen sich im SLT nicht nur Philologen, sondern auch Musiker, Mathematiker, Geografen, Biologen und jeder bringt andere Ideen, Ideale, Vorstellungen von Literatur mit. Es gibt auch Seminare von „externen“ Dozenten, Jan Wagner war zu meiner Zeit einmal dort, Kathrin Röggla, Robert Menasse, und auch Dramaturgen und Regisseure.
Unzählige Seminare habe ich dort verbracht, viele meiner Texte aus meinem ersten Buch „Mir ist die Zunge so schwer“ habe ich im SLT zum ersten Mal laut vorgelesen, kritisieren lassen, zu Hause in meinem Fachwerkzimmer über den Dächern überarbeitet, wieder gebracht und vorgelesen. Ich habe durch das SLT ein Theaterstück zusammen mit zehn anderen (angehenden) Autorinnen verfasst und aufgeführt und dafür Tage in Blaubeuren verbracht und ich erinnere mich an eine Zugfahrt durch das Donautal zurück, singend und erfüllt: Das ist das, was ich machen will und werde: Schreiben, Texte verfassen, sie der Welt zeigen.
Ich habe im Club Voltaire, in der Buchhandlung Gastl, im Zimmertheater (szenische) Lesungen gehabt, habe mich im Weinhaus Beck mit Freunden aus dem SLT getroffen und stundenlang über unsere Schreib-zeiten, -krisen, Projekte gesprochen. Freund, die auch schreiben, die vor den gleichen Problemen standen und stehen, mit denen die Verbindung (obwohl die meisten von uns Tübingen längst hinter sich gelassen haben, uns verteilt haben in Deutschland und anderswo) durch das SLT wie eine Nabelschnur besteht, eine Nabelschnur, aus der jeder nehmen konnte, was wir für unseren weiteren literarischen Weg gebraucht haben.